Verletzungen sind doof ☹, doch sie können heilen 😊

Verletzungen sind doof ☹, doch sie können heilen 😊

Was soll ich sagen? Verletzungen sind doof und sie passieren immer dann, wenn man sie nicht gebrauchen kann. Ich will mich gar nicht beklagen, mein Leben ist großartig, keine Frage. Trotzdem habe ich Momente, in denen hadere ich einfach mit mir selbst.

Dass ich mich verletzt habe, als der Henkel des Komposteimers aufgegeben hat, hatte ich berichtet. Damit war diese Geschichte aber nicht zu Ende. Ich hatte den Arm, nachdem ich die Verletzung festgestellt hatte, erst einmal geschont, gekühlt, gecremt, was man so tut. Danach ging es auch zunächst besser. Ich dachte, schön, wird eine kürzere Sache. Dann am Freitagabend (der Unfall ist am Montag passiert) beim Einschlafen unter der Decke eine blöde Bewegung gemacht und das Gefühl gehabt, dass mir jetzt noch was gerissen ist an der Stelle. Es schnappte wie ein mürbes Gummiband, das unter zu großer Belastung zerriss, tat auch unheimlich weh. Beim Einschlafen ist Schmerz aber sehr schwer objektiv zu bewerten. Großes Kino, Freitagabend spät. Es wurde eine sehr schlafarme Nacht mit Schmerzen und Ungewissheit.

Das ist alles immer noch nicht schlimm, auch nicht, dass ich im Vorfeld wegen eines Infektes im Hals völlig platt war, ich dann Menstruationskrämpfe und Kopfschmerzen bekam. Alles das lässt sich aushalten. Dass das Ganze aber in einer langen Reihe an unschönen Ereignissen passiert, die im Dezember letzten Jahres begann, das zehrt an mir. Hierzu zählen eine Corona-Infektion, die mich echt umgehauen hat (so krank war ich schon lange nicht mehr), die Sorge um meinen Mann, der dasselbe durchmachen musste, eine ungewohnt lange Erholungsphase nach diesem Infekt mit wochenlangem Kampf um eine einigermaßen normale Belastbarkeit, ein Rückfall nach dem ersten sportlichen Training mit Sorge um meine Herzgesundheit, ein Todesfall in der Familie und die Notwendigkeit einer beruflichen Umorientierung. Über den aktuellen Zustand der Welt schweige ich mich lieber aus.

Bewerbungen zu schreiben, hasse ich zutiefst. Es ist nicht nur das „Sich-Anbiedern-Müssen“, nicht die zeitraubende Suche, das Wissen, dass Arbeitgeber eine kostenfreie eierlegende Wollmilchsau suchen. Es ist das Gefühl, nicht gewollt zu sein, keinen geeigneten Platz zu finden, das aus meinen Vorerfahrungen auf dem Arbeitsmarkt entstanden ist, und das Misstrauen, die Angst, ausgenutzt zu werden. Ich sollte es als eine Suche nach etwas sehen, das mich erfüllt, mir Spaß macht, auf das ich mich freuen kann. Meine Vorerfahrungen torpedieren das immer wieder, auch wenn ich mich immer wieder darauf besinne, dass ich gerne arbeite und Freude an Beschäftigung habe.

Die Verletzung kommt, auch wenn nicht unbedingt schlimm, deshalb so ungelegen, weil es gesundheitlich endlich bergauf ging, Sport funktionierte wieder, die Alltagsbelastbarkeit war wieder voll da. Der Psyche geht es besser, wenn man wieder mehr Selbstwirksamkeit spürt, irgendwo Fortschritte machen oder sich einfach nur auspowern kann. Der Plan stand, wieder ein bisschen mehr Kraft- und ein bisschen weniger Kardiotraining in die wöchentliche Routine einzubauen. Und dann kommt so ein Unfall … DAS ist es, was so richtig runterreißt.

Ich will niemanden mit meinen Problemchen belasten, am wenigsten meinen Mann, der mich so sehr in allem unterstützt. Ich will mich nicht beklagen, ich weiß durchaus, wie privilegiert meine Situation ist und dass es vielen anderen viel weniger gut geht als mir. Dennoch zehrt das an mir, dieser Verlust des Gefühls, etwas tun zu können. Denn mit einem Arm ist man im Alltag ordentlich eingeschränkt. Eine Flasche aufmachen, die sich wehrt, ist unmöglich. An- und Ausziehen ist schwierig, Schlafen auch. Putzen, Spülen, Kochen, Waschen ist alles unnötig kompliziert, aber machbar. Und ständig ist da dieser nicht wirklich schlimme, aber ständig präsente Schmerz, der einen konstant daran erinnert, dass es noch nicht vorbei ist. Dann bekommt man beim Sport, wenn man sich auf eines der Reha-Fahrräder setzt (diese mit der hohen Rückenlehne, damit man nicht runterkippt – Gleichgewicht mit nur einem Arm halten ist übrigens gar nicht so leicht), einen oder zwei doofe Sprüche gedrückt und verliert die Motivation, trotz Verletzung ins Gym zu fahren. Ich weiß doch selbst, dass die Schlinge doof aussieht und ich auch, wenn ich bei einer blöden Bewegung das Gesicht verziehe. Es kostet Mut, mit sowas trotzdem rauszugehen, mich jedenfalls. Ich dachte, so kann ich mir wenigstens ein Bisschen Selbstwirksamkeitserleben zurückholen, weil zumindest so Sport klappt. Ich brauche das.

Warum schreibe ich das, wenn ich mich nicht beklagen will? Ich tue es, weil ich möchte, dass es vielleicht jemandem hilft, dem es ähnlich geht. Es ist in Ordnung, wenn solche Dinge einen runterziehen. Es ist in Ordnung, sich so zu fühlen. Es ist in Ordnung, wenn man für sein Wohlbefinden kämpfen muss. Nicht immer ist alles eitel Sonnenschein. Doch die Welt ist nicht schwarz-weiß, sie ist bunt und zwar in jeder nur erdenklichen Schattierung. Man darf struggeln, man darf hadern, man darf anders sein. Ich wünsche mir eine Welt, in der das so gelebt wird, in der Menschen mehr Rücksicht aufeinander nehmen, in der sich jeder gewollt, erwünscht, wertvoll und geschätzt fühlt, einfach nur, weil er da ist, weil er existiert. Ich wäre nicht weniger unsicher, wenn das so wäre, aber ich hätte weniger Probleme, damit klarzukommen. Man bekommt dann oft zu hören, dass man sich einfach ein dickeres Fell anschaffen und nicht so viel auf das geben soll, was andere tun und sagen. Oder etwas Ähnliches in der Art. Das will ich aber gar nicht. Ich möchte nicht abstumpfen, nicht mehr hinhören, Dinge ignorieren.

Ich möchte das umsetzten, was ich mir von anderen wünsche, möchte zuhören, mich kümmern, Rücksicht nehmen, anderen das Gefühl geben, dass ich sie so nehme, wie sie sind, und sie wertschätze. Das gelingt mir nicht immer, natürlich nicht. Das kann keiner. Es wird mir auch nichts bringen … aber ist das wahr? Ich glaube nicht. Was es mir bringt, ist, dass ich damit die Version von mir bin, die ich sein möchte, diejenige, die ihre Ideale nicht aufgibt, sondern versucht, sie zu leben. Und darum geht es doch letztlich, dass ich mit mir selbst zufrieden bin und mich selbst wertschätzen kann. Auch das ist Selbstwirksamkeit.

Aktuell kämpfe ich mit dem Gefühl, zu nichts nütze zu sein, ein Gefühl, das ich in einer früheren Phase lange ertragen musste, als ich aufgrund von Alter und Geschlecht im Arbeitsleben viel Ablehnung erfahren habe, die mir nachhaltig geschadet hat. Der verletzte Arm ist limitierend, hat das wieder an die Oberfläche gebracht, mir aber auch aufgezeigt, dass ich mit dem Thema noch nicht durch bin. Vielleicht werde ich das nie sein. Auch das ist ein Teil von mir, ein Teil meines Erfahrungsschatzes. Eines ist jedoch anders als früher und das stelle ich erst jetzt fest, wo ich es aufschreibe: Ich mag mich selbst deswegen nicht weniger. Es ist ein Ausdruck davon, wer ich bin. Vielleicht bin ich sensibel, das macht mich aber auch einfühlsam. Das schätze ich an mir und auch das „Kämpfen-Müssen“, dass der Alltag nicht nur Leichtigkeit ist, sondern manchmal hart und ich trotzdem funktioniere, mir Räume für Freude und Lebenslust schaffen kann. Das macht mich nicht schwach, sondern stark. Immer wieder meine Ängste überwinden zu müssen, macht mich nicht ängstlich, sondern mutig. Genau das bedeutet Stärke: Trotz Widrigkeiten etwas zu schaffen. Und Mut bedeutet trotz Angst etwas zu tun. Ich muss auch nicht immer alles schaffen, auch das ist in Ordnung. Sich das zuzugestehen, ist ebenfalls wichtig. Gegen Windmühlen zu kämpfen, kostet nämlich nur unnötig Kraft.

Verletzungen sind doof, doch auch aus ihnen kann man etwas Positives ziehen. Ich nehme mir die Zeit zu heilen, physisch und psychisch. Ich besinne mich darauf, was mich stark und mutig macht und dass ich mich selbst wertschätze, weil ich mir jeden Tag Mühe gebe, die beste Version von mir zu sein, die ich sein kann (mal mehr, mal weniger). Ich lerne gerade erst, dass ich, egal was mich in welcher Hinsicht auch immer limitiert, dennoch mit mir zufrieden bin, solange ich ich selbst bin. Ich will niemand anderes sein, ich will ich sein. Das finde ich gut.


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